20. September 2012: Maani manii

Eigentlich sollte es heute ein ruhiger Tag sein. Donnerstag. Viele Schulkinder. Kein Interview, kein Fernsehen vorgesehen.

Sollte. In Wundertütenland kommt es immer anders. Wenigstens das haben wir langsam gelernt.

Also, am Morgen (und das hiess erst nach halb elf: wir hatten also einen ruhigen Tagesstart) wieder die vielen hundert Schulkinder. Immer wieder so viele so fröhliche Kinder. Und eine Neugierde. Und ein Noch-staunen-können, wenn Hans-Ueli die Giessform öffnet und der Letter innert Sekundenbruchteilen fertig erstarrt daliegt. Oder ich die Druckerpresse öffne und das blitzschnell gedruckte Blatt herausnehme. Und dann die Begehrlichkeiten der Kleinen. Alle hätten gerne eine Kobugi oder einen Druck. Aber so schnell können wir halt doch nicht produzieren, dass es für alle reichen würde. Gestern kam eine Gruppe dann auf die Idee, sie könnten ihre zuvor am Museumsshop erstandenen Kleinigkeiten (wie das Jikji-Buch als 3×4-cm-Bastelsatz) mit einer Letter tauschen. Doch irgendwann hatten wir genug Jikji-Büchlein und haben auch das stoppen müssen. Ein Junge ist dann aus seiner Klasse ausgebüxt und noch etwa 5 mal an den Stand zurückgeeilt, bis ihn die Lehrerin mit einer Trillerpfeife (ein wichtiges und wirksames Instrument der Koreanischen Pädagogik) zurückpfiff. Armer Junge. Ich sagte unserem Übersetzer nur: „Sometimes life is hard“ Er nickte nur und wiederholte den Satz den halben Tag lang.

So nebenbei erfahren wir sehr viel und sehr direkt über den koreanischen Alltag. Das ist für uns das grösste Geschenk. Zum Beispiel, dass alle Jungen ins Militar müssen. 21 Monate. Es muss brutal streng zu und her gehen. Wer verweigert, wird als koreanischer Staatsbürger ausgebürgert, ohne jegliche Papiere. Unser Übersetzer muss in 10 Tagen einrücken. Sometimes life is hard. Oder das eine Puztfrau etwa 3 Dollar die Stunde verdient. Also bei einer Normalanstellung gut 500 im Monat. Deshalb müssen viele 80 Stunden die Woche arbeiten. Ein (in Ziffern: 1) Riesenapfel auf dem Grossmarkt kostet 5000 Won, also etwa 4 Dollar. Oder dass sich die Jugendlichen fur ihren Konsumrausch bis über beide Ohren verschulden, in Grössenordnungen, die sie nie im Leben mehr zurückzahlen konnen. Samsung hat zum Beispiel eine eigene Samsung-Bank. Ob da eine nächste Finanzblasen-Zerplatzung vorprogrammiert ist ?

Und dann standen plötzlich vier gediegen gekleidete Damen und Herren in der Werkstatt. Sie stellten sich als die Jikji-Botschafter in den USA und in Frankreich heraus. Die Koreaner tun alles, damit sie ihr ältestes datiertes Buch zurückerhalten.

Und dann hiess es plötzlich, KBS komme am Nachmittag. Aber die waren doch gestern schon da, für eine Ausstrahlung am Freitag-Morgen. KBS ist das staatliche Fernsehen. Bald wurde klar, dass die für das Abendprogramm eine Direktübertragung von etwa 5 Minuten planen. Es kam der Chefredaktor fur ein 2stündiges Vorgespräch mit Chin Im, dann hiess es plötzlich, sie kamen schon um vier Uhr, dann, sie wollten jetzt doch Giessen und Buchbinden und kein Drucken. Ich sprang und bereitete in 10 Minuten ein neues Buch zum Heften vor. Dann hiess es plötzlich, sie kämen erst um halb 5 für die Probedurchläufe. Schliesslich will auch eine Live-Sendung aufs beste geprobt sein. Dann gab es am Schmelzofen einen Knall und das Gas aus der eh schon fast leeren Gasflasche war definitiv alle. Hans-Ueli versuchte mit dem Übersetzer blitzschnell im Museum einen Ersatz zu kriegen. Nur, koreanische Blitze blitzen etwas langsamer, der uns nicht mehr so sympatisch gesonnene Kurator telefonierte einfach dem nächsten Untergebenen. In der Zwischenzeit begann das Blei im Tiegel zu erstarren. Und das Fernsehteam rollte schon die Kabel aus. Und unser Übersetzer wurde langsam nervös. Mit 20 das erste Mal am Staatsfernsehen und dann noch life. Hans-Ueli konnte in der Zwischenzeit an einer der vielen Strassenküchen eine neue Gasflasche leihen. Die vom Museum kam übrigens erst abends, eine halbe Stunde, nachdem das Fernsehen schon wieder weg war. Und dann stand plötzlich der Moderator auf dem Platz. Eine aufgedonnerte Ulknudel mit schwarzer Löckleinfrisur mit einem unkonzentrierten Temperament, wie wenn er 20 Redbulls und 34 doppelte Espressi gehabt hätte. Und dann Probe so, und dann wieder anders, und dann doch Buchbinderei und kein Drucken, aber 2 Fragen, die zum Buchbinden null Bezug hatten, und dann plötzlich ich Frage 1 statt wie abgemacht Hans-Ueli Frage 1, und dann wollte er selber an der Presse drucken. Und alles selbstvertürlich auf Koreanisch, auch die Fragen an uns. Und wenn er dann in der Sendung wieder alles auf den Kopf stellt ? Und dann kamen noch eine Horde Kleinkinder, die irgendetwas vorbereitetes spontan antworten mussten. Und am Ende in die Kamera schreiben: Maani manii. Kommt alle schnell her.

Und dann ging’s unvermittelt los. Der Moderator knallte fast vor Energie. Und wirklich, statt zu Hans-Ueli zu gehen und die Frage 1 kommt er zu mir an die Presse und fragt auf Koreanisch, ob er da selber drucken dürfe. Ich ganz kuhl auf Schwyzertüütsch: Ja gern. Worauf er fast sein Mikrofon am Pressenbengel zerquetschte, so gut wollte er drucken. Und dann zu Hans-Ueli, da die richtige Frage. Der Übersetzer musste sich kurz vordrangen, dass das nicht vergessen ging. Und dann war’s schon vorbei. Alles geklappt. Die Kinder wie verrückt Maani manii gebrüllt. Abmoderation. Einige Millionen Koreaner haben uns gesehen. Und unseren Übersetzer. Und seine Mutter hat sogleich angerufen, er sei super gewesen. Super. Heute hatte er die Sekundensequenzen, wo er zu sehen ist, schon auf seinem Samsung aufgeladen. Mögen wir ihm gönnen.

Nach dem Nachtessen (vom Fernsehen grosszügig eingeladen) erfüllte sich einer meiner Reisewunsche. Mit Chin Im, die neue Socken brauchte, fuhren wir zum grössten gedeckten Markt von Cheongju, kurz vor Ladenschluss. Und konnten nur so staunen. Wir lassen dafür unten einige Fotos sprechen. Und berichten noch kurz, dass sich ein weiterer Shopping-Wunsch erfüllte: eine koreanische Grillpfanne für auf den Tisch. Muss ja nicht undingt Schweinebauch sein. Zwar gab es die metallenen nur in beschichtetem Spritzguss, was wir nicht wollten, und nicht im traditionellen Gusseisen. Dafür fanden wir im zweiten Anlauf eine traditionelle Steinpfanne. Mit Metallband gefasst. Wunderschön. Und obendrauf noch eines dieser fantastischen grossen Küchenmesser aus rostendem Stahl, die man aber zu brutalster Schärfe abziehen kann. Gerade richtig, um Adlerfarnsprossen schön klein zu schneiden. Mariniert übrigens eine Delikatesse.

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